Vom Abstiegskandidat zum Countersprenger

Es ist vollbracht, es ist geschafft. Punktwerte, von denen man vor Jahren nicht mal geträumt hatte sind lächelnd durchbrochen worden und der Punkteweltrekord wurde mit über 600 zockenden Zebras eingestellt.

Play for your club (PFYC) ist ein Online-Spiel, bei dem die Fans verschiedener Mannschaften jede Woche von Montag bis Mittwoch gegeneinander antreten. Als ich angefangen habe, damals im weit zurückliegenden Jahr 2007, war der MSV nur ein Abstiegskandidat. Teilnahmen am Europacup waren selten, über Meisterschaften wurde nicht einmal „laut“ geredet. (Dieses „laut“ ist nicht ganz so wörtlich zu nehmen, da wir uns regelmäßig – außer bei den Spielen – im msvportal treffen und uns virtuell abstimmen.)

Und jetzt, im Oktober 2012, sitzen wir mit den anderen Weltrekordlern im Olymp und trinken selbstgefällig einen Kaffee, vielleicht auch einen Pfefferminztee, einen Energydrink oder auch mal ein kühles blondes KöPi. Vor uns hatten europaweit vier Mannschaften diesen Punkteweltrekord erreicht. Das waren die Gladbacher, die Kollegen von St. Etienne, die Frankfurter und die Kölner. (Mehr als die 2,147 Mrd. Punkte kann man aus technischen Gründen bei diesem Spiel nicht erreichen.)

Mit diesem Rekord einher ging eine Spendenaktion, die die bisher durchgeführten Spendenaktionen der PFYC-Zebras in den Schatten gestellt hat. Mehr als 1.073 Euro gingen an das NLZ. Und auch wenn der Verein momentan wieder am Rande des Abgrundes herum galoppiert, so bleibt das NLZ des e.V. für die Zukunft des MSV doch extrem wichtig.

Doch wie konnte das alles passieren?

Im Sommer 2007 waren wir nicht mal in der Lage, 100 Mio. Punkte zu erspielen. Und jetzt – fünf Jahre später – stehen 2,147 Mrd. zu Buche. Hinter uns liegen 5 Jahre harte Aufbauarbeit, stetige Erweiterung des Stammzockerpotentials, stetige Erhöhung des Bekanntheitsgrades und eine Vergrößerung der Sympathisantengruppe, die immer mal wieder zur Maus greift, um für den MSV im virtuellen Raum zu punkten. Dazwischen lag die erste Meisterschaft - Weihnachten 2009, die für viele, die dabeigewesen sind, immer noch unvergesslich ist. Sieben weitere Meisterschaften wurden trotz der Übermacht der Gladbacher, Frankfurter und Kölner errungen. Ein zwischenzeitlicher Punkterekord von 1,3 Mrd. Punkten wurde nur unter Mühen erreicht und brachte uns schon Platz fünf der ewigen Bestenliste. Damals konnte sich noch keiner vorstellen, irgendwann mal den letzten Schritt zum Weltrekord zu gehen. Aber seit mehr als anderthalb Jahren spukte in den wirren Köpfen der Zebrazocker der Gedanke an die Countersprengung (so wird der Weltrekord  auch genannt, weil das Ende der Punktezählung erreicht wird) herum. Meistens wurde dieser Gedanke  aber schnell wieder verworfen, bevor er in den diversen Foren niedergeschrieben werden konnte.

Doch im April 2012 nahm der Gedanke konkrete Formen an. Vorsichtig wurden Termine diskutiert. Besondere Aktionen müssen immer weit im Vorfeld terminiert werden, damit die Leute Urlaub nehmen, Schichten verlegen, Privates verschieben oder Berufliches vorziehen können. Viele der Stammzocker haben für die Spenden-Countersprengung extra Urlaub genommen. Im Juni begannen die konkreten Planungen. Allen war klar, dass das Stammpersonal nicht ausreichen würde. Selbst wenn wir alle Sympathisanten auf einmal an die Maus bekämen, könnte es knapp werden. Deswegen wurde eine großangelegte Mobilisierungskampagne durchgeführt, die mit Internetseiten und dem Infostand auf dem Arenatag begann. Es folgten Flyeraktionen, Kooperation mit dem MSV, Transparente im und am Stadion, sowie eine Presseerklärung. Und tatsächlich druckte zumindest der WAZ –Konzern den Aufruf, den MSV im Internet würdig zu vertreten und den Spendenbetrag hochzuschrauben.

Und dann die Ruhe vor dem großen Tag. Sonntag, 14.10.2012. Es gab nichts mehr zu tun. Das msvportal machte schon seit einer Woche Werbung für die Aktion, alle „Rentner“  der Zockerei waren angeschrieben und tatsächlich ließen sich auch einige wiederbeleben. Aber ansonsten war es wie die Ruhe vor dem Sturm, wie ein gegnerischer Strafraum, wenn unser MSV spielt.
Wir machten uns gegenseitig nochmal Mut, versicherten uns völlig nervös, dass wir alle bestens vorbereitet und mit Fressalien versorgt seien und wünschten uns gegenseitig möglichst viel Schlaf in der letzten Nacht vor dem großen Tag. Für viele sollten die nächsten beiden Nächte sehr kurz werden.

Der große Tag. Montag, 15.10.2012

Ab 8:30 war der entsprechende Thread im msvportal schon gut gefüllt. 90 Minuten vor Beginn waren bereits 16 Leute anwesend, eine halbe Stunde vorher schon über 20. Das machte Laune und Hoffnung auf einen starken Beginn, der für diese Aktion so wichtig war. Und dann ging es auch los. Mit 44 wahnsinnigen Zebras ging es über die Startlinie. Die ersten 100 Mio. wurden in weniger als einer Stunde erzockt. Doch dann wurde es ein wenig ruhiger. Aber die Countersprengung ist kein Sprint, sondern ein Marathon über 58 Stunden. Der erste Tag sollte auf jeden Fall 900 Mio. bringen, sonst würde es sehr eng werden, denn nach zwei durchzockten Nächten würde das Stammpersonal Mittwoch nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte sein. Und die 900 Mio. wurden erreicht. Der Dienstag begann allerdings sehr, sehr zäh. Natürlich wurden viele Punkte erzielt, aber ob es noch reichen würde? Wir wurden langsamer, die Stundenwerte schlechter. Aber wir hatten keinen Totalausfall. Jede Stunde brachte uns sichere Punkte. Selbst zwischen 5-7 Uhr morgens wurde gespielt. Mittwochmorgen um ein Uhr waren noch 39 vollkommen irre Zebras an der Maus. Und tatsächlich, auch bevor die zweite Nacht rum war, konnten wir weitere 900 Mio. verbuchen. Um fünf Uhr morgens wurden  die 1,8 Mrd. geknackt und uns standen noch die letzten 350 Mio. bevor. Eine Kür sollte das werden, der letzte lockere Endspurt. Um neun Uhr waren aber immer noch 300 Mio. zu bewältigen und dann ging das große Gerenne los.
Wir wollten schneller als die Kölner sein. Die beendeten das Unternehmen  Countersprengung  am Mittwoch um 16:04 Uhr. Das beflügelte noch einmal den rechten Zeigefinger und den Geist von zuletzt noch über 60 Zebras, die den MSV über die Ziellinie trieben.

2.147.483.647 Punkte waren erreicht – 1073,74 Euro für das NLZ sind eingespielt.  

Auch für viele so nicht nachvollziehbar ist, die Euphorie, die Erleichterung unter den Zockern war riesengroß. Das war ein Riesenprojekt und wir hatten zeitweise alle Angst, zu scheitern. Der Druck war für die Zocker enorm. Natürlich ist es nur ein Spiel, aber wenn man sich etwas vorgenommen und dafür im Vorfeld so viel unternommen hat, dann will man es natürlich auch durchziehen. Und wenn man als Zebraherde zusammensteht, dann schafft man auch das eigentlich Unmögliche: Am 17.10.2012 um 14:57 Uhr wurde der Counter gesprengt.
Dann erlahmte langsam die Adrenalinpumpe. Viele Zocker brachen ganz gepflegt und kontrolliert auf ihren Sofas zusammen und ließen in Ruhe und äußerst zufrieden den Mittwoch – den Tag der Countersprengung – mit der Gewissheit ausklingen, dass sie sich den Sitz im Olymp der PFYC-Zocker verdient hatten.

Aber warum machen wir das?

Ich denke, selbst viele der 600 Zocker, die für den MSV diese Spendensumme und diesen Punkterekord rausgeholt haben werden sich diese Frage stellen. Warum setzen sich Leute – und nicht wenige – innerhalb dieser Zeitspanne von  58 Stunden 40-50 Stunden den Hintern platt und betätigen mit dem rechten Zeigefinger die linke Maustaste? Warum machen sie sich dabei die Augen, die Ellbogen, die Rücken kaputt? Oder sie frieren sich – wie unsere Damen – die Finger ab und fordern beheizte Computermäuse? Warum also diese Qualen, diese Tortur, all dieses Leiden?
Zunächst hilft es natürlich, MSV Fan zu sein. Dann ist man schon mal an Leid gewöhnt. Aber das senkt ja nur die Einstiegshürde für dieses Spiel. Die Gründe, die für das Spiel sprechen, sind vielfältig. Aber der Hauptgrund dürfte die Gemeinschaft sein. Die Gemeinschaft der Zocker, die sich gegenseitig hilft, die sich gegenseitig motiviert und immer da ist, wenn man mal ein Tief hat. Das Teilen ehrlicher und wahrer Gefühle wie Euphorie und Enttäuschung, wenn man siegt oder verliert. Das kommt Euch jetzt aus dem Stadion bekannt vor. Aber der Vorteil an Play for your club ist, dass wir – die Fans und Zocker – es selbst in der Hand haben, ob unser Verein auf der Gewinner- oder auf der Verliererseite steht. Und das ist bei den durchlaufenden Posten, die sich unsere Trikots im letzten Jahrzehnt so angezogen haben, ein sehr verlockender Gedanke.

Und jetzt?

Die Sprengung des Counters ist das größte was man als PFYC Team erreichen kann. Könnten wir ja eigentlich aufhören? Wäre da nicht die kleine Rechnung, die wir noch mit Schalke offen haben. Die Schalker haben bisher 10 Meisterschaften und wir als MSV Duisburg sind erst bei acht. Also – es gibt immer was zu tun ;)

Was noch bleibt ist der Dank an alle 600 Zocker und an diejenigen, die uns im Vorfeld unterstützt haben (Portalteam, Zebraherde, Zebrakids, …)

Matthias